Berührend, erschütternd, bewegend – all das können Musikstücke, Bilder, Skulpturen oder andere kreative Erzeugnisse sein. Manchmal trifft es uns ganz unvorbereitet, ein anderes Mal nach langem Prozess intensiver Beschäftigung. Es sind Momente, die etwas in uns auslösen, uns wachrütteln, liebevoll in den Arm nehmen oder einfach nur kurz innehalten lassen. Gefühle durchströmen uns, manchmal bleiben sie nur kurz, ein anderes Mal verändern sie uns für immer.
Wie können diese starken Reaktionen in uns ausgelöst werden?
Auf der Suche nach einer Antwort darauf begab ich mich ganz an den Anfang – ja, ich wollte es wissen: Was passiert beim/im Kunstschaffenden im kreativen Schöpfungsprozess?
Bisher konnte ich nur auf meine eigenen Erfahrungen und auf theoretische Texte zurückgreifen, aber nun wollte ich mich so nah es geht an diesen „heiligen Moment“ anderer Künstler herantasten.
Ich befragte drei Musikkomponisten/Pianisten, deren Musik eine besonders hohe Gefühlstiefe aufweist. Zudem befragte ich zwei bildende Künstler, deren Werke in der Lage sind, tief zu erschüttern, und die ihren ganz eigenen Fingerabdruck besitzen.
Der slowakische Komponist/Pianist Oliver Nowaczynski Bohovic beschreibt den kreativen Schöpfungsprozess als ein Loslassen der Gefühle und ein Einfangen der Ideen, die in diesem Moment um ihn schwirren. Für ihn ist das Komponieren eine Möglichkeit, imaginäre Welten zu erschaffen, in denen er sich vollkommen frei und trotzdem zu Hause fühlt. Woher die Ideen genau kommen, weiß er oftmals nicht so genau und will es auch gar nicht wissen. Irgendwann erscheint in seinen Gedanken eine Melodie und mit dieser arbeitet er dann weiter.
Beim Maler/Bildhauer Hans-Peter Oehm verhält es sich mit der Ideenfindung ähnlich. Er spürt, dass ständig Themen in ihm arbeiten, die immer wieder Bilder und Skulpturen vor seinem inneren Auge entstehen lassen. Manche dieser Ideen verwirft er wieder, andere verfolgen ihn regelrecht, bis sie endlich in die sichtbare Welt gebracht sind. Im Schöpfungsprozess kommuniziert er mit seinen Figuren und verhilft ihnen dazu, genau das zu werden, was sie sein wollen.
Ian Wong, kanadischer Komponist/Pianist, sucht am Anfang des Komponierens nach einem Gefühl. Bis dieses Gefühl da ist, testet er verschiedene Ideen aus und improvisiert. Dieser Anfangsprozess läuft so lange, bis er im Körper spürt, dass da irgendetwas zu ihm spricht. Ab diesem Punkt versucht er dieses Gefühl musikalisch umzusetzen und eine Art von Geschichte zu erzählen, die sowohl für ihn als auch für den Zuhörer Sinn ergeben soll.
Für den Künstler Günter Ludwig sind es bestimmte Themen, die ihn inspirieren und so sehr beschäftigen, dass sie ihn nahezu zwingen, diese künstlerisch umzusetzen. Bei dieser Umsetzung versucht er „das Laute“ zu vermeiden, da es uns ohnehin überall und täglich umgibt.
Die Macht der LEIDenschaft in ihrer Lautlosigkeit laut erscheinen zu lassen, hat für ihn Priorität und ist für ihn eng mit dem Leiden selbst verbunden.
Simon Daum, deutscher Komponist/Pianist, beschreibt den kreativen Schöpfungsprozess als ein Loslassen, Zulassen und Suchen. Er selbst sieht sich in diesem Prozess nicht als Erschaffer, sondern vielmehr als Empfänger eines Geschenkes. Er spielt so lange, bis musikalische Ideen aufkommen, welche ihn mit Freude und/oder Frieden erfüllen.
In den Aussagen aller Künstler fanden sich immer wieder ähnliche Aussagen. Es wurden Prozesse beschrieben, die sowohl von außen als auch von innen beeinflusst werden. Günter Ludwig sprach davon, „das Laute“ vermeiden zu wollen, und genauso sagte Simon Daum, dass für ihn das Komponieren eine Möglichkeit bietet Gefühle auf eine Weise auszudrücken, die anderen Menschen gegenüber nicht aufdringlich ist. Generell scheinen die späteren Betrachter/Zuhörer schon im Entstehungsprozess gedanklich miteinbezogen zu werden.
Oliver Nowaczynski Bohovic erzählte, wie wunderschön er es findet, sich über die Musik emotional mit anderen Menschen und deren Seelen verbinden zu können. Auch Ian Wong sprach davon, dass die Musik ihm die Möglichkeit gibt, sich auf einer tieferen Ebene mit Menschen zu verbinden, und dass er mit seiner Musik etwas in dieser Welt hinterlassen möchte, etwas, das Sinn ergibt.
„Musik ist einfach die Sprache der Seele!“, Simon Daum.
„Kunst spricht alle Sprachen dieser Welt!“, Hans-Peter Oehm.
Ich denke, es wird deutlich, dass schon der kreative Schöpfungsprozess selbst ein Kommunikationsprozess ist. Es findet eine Kommunikation zwischen Künstler, Welt und Betrachter/Zuhörer statt.
Kein Wunder also, dass sich die Seelen der Rezipienten angesprochen fühlen.
Und gerade in diesem Moment sitzen sie wieder am Klavier, stehen im Atelier oder entwickeln Ideen, um sie später mit dir teilen zu können. Sie nehmen dich mit auf eine abenteuerliche Reise, in eine andere Welt, in eine andere Form der Wirklichkeit, öffnen deine Augen und dein Herz für das Unaussprechliche und sind bereit, dich so zu berühren, dass es dich für immer verändert.
Christine Franke,
2019